Rechenschaftsbericht

des Rektors der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Hans-Werner Ludwig
über die Amtszeit vom
18. Juli 1995 bis zum 30. September 1996

13. Internationale Beziehungen

Die Beziehungen zu ausländischen Hochschuleinrichtungen wurden im vergangenen Jahr auf dem erreichten hohen Niveau konsolidiert. Ein längere Reise durch die USA führte den Rektor, begleitet vom Dezernenten für Internationale Beziehungen, im März 1996 zunächst zu den amerikanischen Mitgliedshochschulen des "Internationalen Zentrums" und zu weiteren zehn Universitäten im Osten der USA, zu denen Beziehungen neu geknüpft und bestehende Partnerschaften intensiviert wurden. Unter anderem wurde an der University of Maryland die Planung für das im kommenden Oktober stattfindende zweite "Maryland-Symposium" vorangetrieben und am Washington College in Chestertown, Maryland, ein neues Austauschabkommen unterzeichnet. Den Dezernenten für Internationale Beziehungen führten weitere, vom Wissenschaftsministerium finanziell unterstützte Reisen in die USA, wo er an Fachkonferenzen teilnahm und die Ausnahmestellung der Universität im deutsch-amerikanischen akademischen Austausch weiter festigen half. Der Rektor begleitete im Mai 1996 auch die Vertreter der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät nach Straßburg, wo mit dem dortigen Institut EuropΘen d'Etudes Commerciales das ehrgeizige Projekt eines betriebswirtschaftlichen Doppeldiplomstudiengangs aus der Taufe gehoben wurde, das die finanzielle Unterstützung des Deutsch-Französischen Hochschulkollegs gefunden hat. Ein Prorektor besuchte im April 1996 Brasilien zur Einweihung der Forschungsstation im Rahmen des Projekts "Rettung des Araukarienwaldes," das seit 1990 zusammen mit der Pontifφcia Universidade Cat≤lica do Rio Grande do Sul betrieben wird und an dem auch die Forstfachhochschule Rottenburg beteiligt ist.

Mit dem im Dezember 1996 schon zum fünften Male stattfindenden "Tübingen Family Meeting" im Heinrich Fabri Institut Blaubeuren, bei dem rund dreißig Kollegen aus dem Bereich internationale Beziehungen aus allen Teilen der Welt zusammenkamen, wurde erneut unter Beweis gestellt, welchen Wert die Universität der kontinuierlichen Pflege der Beziehungen zu den ausländischen Partnereinrichtungen beimißt.

Gegen Ende des Berichtszeitraumes war die Verwaltung der internationalen Beziehungen vor allem geprägt durch das neu aufgelegte SOCRATES-Programm der Europäischen Union, durch das die Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Universitäten auf eine neue Grundlage gestellt werden soll. Die Universität mit ihrem traditionell weitverzweigten internationalen Austausch hat in ihrer obligatorischen Stellungnahme hierzu zum Ausdruck gebracht, daß sie die intraeuropäischen Aktivitäten in den Gesamtzusammenhang ihrer weltweiten Austauschbeziehungen eingebettet sehen will. Sie wies auf die Gefahr hin, daß einerseits ihre personellen und finanziellen Ressourcen durch den hohen administrativen Aufwand, der mit SOCRATES verbunden ist, über Gebühr belastet werden, und daß andererseits ein Druck zur europäischen Konformität in der Organisation des Studentenaustausches entsteht, der die Universität letztlich zu Maßnahmen zwingt, die sie nach ihrem eigenen Verständnis nicht einführen würde. Andererseits wurde auch Konsens darüber zum Ausdruck gebracht, daß sich die Universität weiterhin aktiv an Programmen dieser Art beteiligen würde und diejenigen Elemente, die dem internationalen Austausch insgesamt zugute kommen, übernehmen und auf breiter Ebene einführen sollte, nämlich die Verbesserung der Selbstdarstellung, der Information und der Kommunikation mit den Partnern. Die Hochschullehrer haben sich im Vorfeld des zum 1. Juli 1996 fälligen SOCRATES-Antrags in dankenswerter Weise engagiert, um die schon bisher bestehenden partnerschaftlichen Beziehungen zu erhalten und weiter auszubauen. Falls ein größerer Teil der beantragten Projekte tatsächlich bewilligt und umgesetzt werden sollte, so würde sich in allen Bereichen, die das Programm umfaßt, nämlich Studentenaustausch, Dozentenmobilität und Mitwirkung bei der Entwicklung europäischer Curricula, eine wesentliche Ausweitung der bisherigen Aktivitäten ergeben. Die Universität hat dem im übrigen dadurch Rechnung getragen, daß sie dem Dezernat für Internationale Beziehungen eine zusätzliche Halbtagsstelle für den Mehraufwand in diesem Bereich zur Verfügung stellte.

Der von Brüssel ausgeübte Konformitätsdruck wird durch die Programme der Europäischen Union zum einen direkt durch die Vergabekriterien für die Fördermittel an die Hochschulen wirksam, zum anderen indirekt durch diejenigen unter den Austauschpartnern, welche die Vorstellungen der Europäischen Kommission kritiklos übernehmen. Dies zeigt sich vor allem sehr konkret an dem ECTS-System, einem Mechanismus zum automatischen Transfer von Credits, an dessen sechsjähriger Modellphase die Universität aktiv beteiligt war. Das ECTS (European Community Course Credit Transfer System) strebt ein vereinheitlichtes Anerkennungsverfahren für Studienleistungen an, die im Rahmen der europäischen Programme erworben werden. Nach der bisherigen Beurteilung durch die Universität enthält das ECTS einerseits sehr sinnvolle Elemente, wie zum Beispiel die Forderungen nach Transparenz des Studienssytems und besonders der durchschnittlichen Anforderungen an Pflichtveranstaltungen und deren Gewichtung, sowie auch nach Transparenz der Notengebung. Es enthält aber auch andere Elemente, die für die Universität einen hohen Verwaltungsaufwand mit sich bringen und nicht in größerem Umfang verallgemeinert werden können, so die Vorstellung, mit jedem ausländischen Studenten schon vor Antritt seines hiesigen Auslandsstudiums ein fertiges Kursprogramm zu vereinbaren. Schließlich sollen die erworbenen Studienleistungen auch auf eine verallgemeinerte Skala von Credits projiziert werden, was, weil dem deutschen Studiensystem fremd, in vielen Fällen problematisch ist. Als Mitgliedsuniversität in einem europäischen Netz, das eindeutig in Richtung auf eine vollständige Einführung dieses Systems tendiert, muß innerhalb der Universität ein intensiver Dialog mit allen Fakultäten und Instituten geführt werden, wie weit man den europäischen Partnern sinnvollerweise entgegenkommen kann und welche Rückwirkungen sich dabei auf die eigene Anerkennungspraxis ergeben müssen, die bisher gut funktioniert hat. Es ist zu hoffen, daß die Resultate den internationalen Austauschbeziehungen der Universität insgesamt zugute kommen, damit sie die Spitzenstellung, die sie in diesem Bereich seit langem eingenommen hat und die zu einem wesentlichen Element ihrer Attraktivität geworden ist, nicht verliert.

Die Universität sieht diesen Themenkomplex auch vor dem Hintergrund der derzeit auf Landes- und Bundesebene stattfindenden Diskussion um die angeblich schwindende internationale Attraktivität der deutschen Hochschulen, die sie zu strukturellen Überlegungen über den Aufbau von Studiengängen auf allen Ebenen und über sinnvolle Einstiegsmöglichkeiten für internationale Studierende veranlassen wird. Wenn die Maßnahmen zur Verkürzung der Studiendauer für die deutschen Studierenden greifen, eröffnen sich hier durchaus Möglichkeiten zu einer Verbesserung der internationalen Kompatibilität unserer Studienorganisation.

Wieweit die derzeitige Haushaltslage es dem Land und der Universität erlauben wird, den hohen Stand internationaler Vernetzung aufrechtzuerhalten, kann heute nicht gesagt werden.

13.1 Internationales Zentrum

Das Jahr 1995 stand für das Internationale Zentrum noch immer unter dem Eindruck seiner Evaluierung durch eine internationale Kommission, die, vom Land Baden-Württemberg eingesetzt, ihren Bericht im April 1995 vorlegte. Darin wird die Fortführung des Gesamtprojekts "IZ" mit einer langfristigen Perspektive uneingeschränkt befürwortet aufgrund des anhaltenden Bedarfs in Mittel- und Osteuropa, des wissenschaftlichen Potentials, das durch die bisherige Arbeit zusammengefaßt wurde, und der optimalen Struktur des IZ-Konsortiums für das Zusammenwachsen der Wissenschaften in Ost und West, mit dem es zum Modell einer Vermittlungs- und Drehscheibe zwischen Ost und West wurde.

Begrüßt wurde auch die Differenzierung der Programmstruktur, die Fortbildungsveranstaltungen nur noch in einigen Fachbereichen und vornehmlich ausgerichtet auf jüngere Wissenschaftler vorsieht. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist dagegen, nicht nur durch das zurecht gewachsene Selbstbewußtsein der ost- und mittelosteuropäischen Wissenschaftler sondern auch durch die Eigendynamik gemeinsamer Forschungsinteressen, längst eine andere Gesprächs- und Arbeitsebene in Workshops und Symposien erreicht.

Das IZ-"Symposium on the Training of Ph.D.-Students" im September 1995 in Budapest hat dem IZ zudem ein neues Aufgabenfeld erschlossen: Gemeinsames Interesse aller Mit-gliedsuniversitäten, so dessen Ergebnis, ist die verstärkte Kooperation und die Nutzung des internationalen Konsortiums in der Doktorandenausbildung. Ein erstes internationales Doktorandenseminar zu Forschungsrichtungen in der Linguistik wurde in der Sommerakademie 1996 in Kopenhagen durchgeführt.

Dieses Seminar hat auch in anderer Weise einen neuen Schritt in Richtung Internationalisierung der Arbeit des IZ markiert: Nicht nur, daß es, wie inzwischen weit mehr als die Hälfte aller IZ-Veranstaltungen, außerhalb Tübingens stattfand, es wurde zudem vollständig mit dänischen Mitteln finanziert. Diese Internationalisierung der Finanzierung der IZ-Programme geht weiter: Auch die Yale University finanziert und organisiert bereits 1996 eine Veranstaltung auf ihrem Campus und eröffnet damit das nun auch finanzielle Engagement der amerikanischen Mitgliedsuniversitäten, die für die kommenden Jahre die Mittel für je zwei bis drei Veranstaltungen aufbringen werden. Die Universität Kopenhagen wird ihr wissenschaftliches und finanzielles Angebot in den nächsten Jahren ebenfalls fortsetzen und die University of Durham will sich unter Einbeziehung des British Council diesem Trend 1997 anschließen.

Last but not least haben auch die östlichen Universitäten ihren Beitrag zugesagt. Bereits 1996 hat die Lucian Blaga Universität Sibiu, seit Juni 1995 neues und achtzehntes Mitglied im Universitätskonsortium, die Organisationskosten einer Veranstaltung in Rumänien 1996 allein getragen und die Lomonosov Universität Moskau wird sich an einem für 1997 in Moskau geplanten Symposion durch Übernahme der Unterbringungskosten finanziell beteiligen.

Diese angesichts knapper werdender deutscher Mittel zukunftsweisende Perspektive bedeutet jedoch für die Geschäftsstelle keineswegs zugleich auch die eine Minderung des Arbeitsanfalls. Sie ist, gerade bei der Durchführung von Projekten in Mittel- und Osteuropa, in ihrer Funktion als Clearing-Stelle und Koordinatorin der Organisation mehr denn je gefragt und im Einsatz.

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